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Warum brauchen Kinder Thiamin?

Thiamin Kinder

Vitamin B1, das auch die Bezeichnung Thiamin trägt, gehört zur Familie der B-Vitamine. Der lebensnotwendige Nährstoff wird im Volksmund Nervenvitamin genannt, da er die gesunde Funktion von Gehirn und Nervensystem aufrechterhält.

Wenn wir nicht genügend Vitamin B1 mit der Nahrung zuführen, wirkt sich die Unterversorgung vor allem auf Herz, Muskeln, Nerven und Immunsystem aus. Obwohl die berühmt-berüchtigte Mangelerkrankung Beriberi in westlichen Industriestaaten nicht vorkommt, wird ein leichtes Defizit an Thiamin häufiger beobachtet.

Betroffen sind in Deutschland vor allem Frauen und weibliche Teenager. Durch eine ausgewogene Ernährung mit einem hohen Anteil an Vollkornprodukten lässt sich ein Vitamin-B1-Mangel bei Kindern und Erwachsenen leicht vermeiden.

Was ist Thiamin?

Unter der Bezeichnung Thiamin werden in der Biochemie verschiedene Moleküle zusammengefasst, die eine ähnliche biologische Aktivität besitzen. Dazu zählen Thiamintriphosphat (TTP), Thiamindiphosphat (TDP) und Thiaminmonophosphat (TMP).

Im Jahr 1926 wurde der lebenswichtige Nährstoff als erster Vertreter der Familie der B-Vitamine aus Reiskleie isoliert. Die Forscher gaben dem Biomolekül den Namen antineuritisches Vitamin (Aneurin) und wiesen damit auf dessen Wirkung gegen Nervenentzündungen bei der gefürchteten Mangelkrankheit Beriberi hin.

Der deutsche Biochemiker und Nobelpreisträger Adolf Windaus fand 1932 heraus, dass die Struktur des Aneurins neben einer Aminogruppe auch ein Schwefelatom enthält. Da in der Chemie bestimmte Schwefelverbindungen das Kürzel „Thio“ tragen, wurde der wertvolle Vitalstoff ab diesem Zeitpunkt von Wissenschaftlern „Thio-Amin“, abgekürzt Thiamin, genannt.

Wie alle B-Vitamine ist Thiamin wasserlöslich. Unser Körper kann lediglich 30 Milligramm speichern, sodass wir nur wenige Tage ohne den notwendigen Nährstoff auskommen. Thiamin muss deshalb kontinuierlich über die Nahrung zugeführt werden. Zahlreiche pflanzliche und tierische Lebensmittel stellen wichtige Vitamin-B1-Quellen dar.

Welche Aufgaben hat Thiamin in unserem Organismus?

Als Coenzym spielt Vitamin B1 eine entscheidende Rolle bei der Energiegewinnung aus Fetten, Aminosäuren und Kohlenhydraten. Somit sind vor allem das Gehirn und der Herzmuskel auf eine optimale Versorgung mit dem vielseitigen Vitalstoff angewiesen. Die Übertragung von Nervenimpulsen auf die Muskelzellen erfordert ebenfalls die Anwesenheit von Thiamin1.

Darüber hinaus ist der wertvolle Nährstoff an der Regeneration von geschädigten Nervenzellen beteiligt und unterstützt das Wachstum der Nervenfasern.

Mehrere klinische Studien konnten zeigen, dass eine gute Versorgung mit Vitamin B1

  • die Gefahr von Linsentrübung und grauem Star (Katarakt) verringert2 3
  • der Entstehung der gefürchteten Alzheimerkrankheit entgegenwirken kann4
  • die Pumpleistung des Herzens bei Menschen mit Herzschwäche (Herzinsuffizienz) verbessert5
  • eine positive Wirkung auf den Blutzuckerspiegel bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 hat6

Vitamin-B1-Bedarf für Erwachsene und Kinder

Der Tagesbedarf an Thiamin hängt maßgeblich davon ab, wie viele Kohlenhydrate die betreffende Person über die Nahrung zuführt. Unser Organismus kann langkettige Zuckermoleküle nur dann verwerten, wenn ausreichende Mengen an Vitamin B1 zur Verfügung stehen.

Damit keine Mangelsituation im Körper auftritt, gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Referenzwerte für die notwendige Mindestaufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen heraus. Die nachfolgend genannten Werte für Thiamin gründen sich auf eine grobe Schätzung. Dabei nimmt die DGE an, dass etwa 0,5 Milligramm (mg) Vitamin B1 erforderlich sind, um 1000 kcal unserer Nahrung in ihre Bestandteile aufzuspalten.

Referenzwerte für Thiamin7

  • bis 4 Monate: 0,2 mg
  • 4 bis 12 Monate: 0,4 mg
  • 1 bis 4 Jahre: 0,6 mg
  • 4 bis 7 Jahre: 0,7 mg
  • 7 bis 10 Jahre: 0,8 mg (Mädchen), 0,9 mg (Jungen)
  • 10 bis 13 Jahre: 0,9 mg (Mädchen), 1 mg (Jungen)
  • 13 bis 15 Jahre: 1 mg (weibliche Jugendliche), 1,2 mg (männliche Jugendliche)
  • 15 bis 19 Jahre: 1,1 mg (weibliche Jugendliche), 1,4 mg (männliche Jugendliche)
  • Erwachsene: 1 mg (Frauen), 1,3 mg (Männer)
  • Schwangere: 1,3 mg
  • stillende Frauen: 1,3 mg

Eine Unterversorgung mit Vitamin B1 kommt auch in Deutschland vor

Viele Ärzte und Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Thiaminmangel in deutschsprachigen Ländern nur selten auftritt. Die Nationale Verzehrstudie II des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner-Institut) kam im Jahr 2008 jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis.

Demnach erreichen jede dritte Frau (32 %) sowie jeder fünfte Mann (21,2 %) in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht die empfohlenen Referenzwerte der DGE. Bei Teenagern sieht die Situation genauso dramatisch aus: 20 Prozent der männlichen beziehungsweise 24,5 Prozent der weiblichen Jugendlichen weisen eine Unterversorgung mit Thiamin auf8.

Eine einseitige Ernährung, der erhöhte Vitalstoffverbrauch und eine reduzierte Aufnahme von Vitamin B1 im Darm gelten als wesentliche Ursachen für das Auftreten einer Mangelsituation. Besonders gefährdet sind folgende Personengruppen:

  • Menschen mit Magersucht (Anorexia nervosa)
  • Schwangere, stillende Mütter und Frauen, die die Pille einnehmen
  • Kinder und Jugendliche in der Wachstumsphase
  • Leistungssportler und Leute, die schwere körperliche Arbeit verrichten
  • Patienten mit Erkrankungen der Leber und des Magen-Darm-Trakts
  • Personen, die beruflich oder privat starkem Stress ausgesetzt sind
  • Menschen mit einem Folsäuremangel
  • chronisch Kranke, die regelmäßig Medikamente einnehmen müssen
  • Alkoholiker

Welche Symptome treten bei einem Thiaminmangel auf?

Da Vitamin B1 für die Energiegewinnung im Körper zuständig ist, kann ein Defizit unterschiedliche Beschwerden hervorrufen. Anfangs macht sich eine Unterversorgung durch allgemeine Anzeichen wie Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Verstopfung oder Erbrechen bemerkbar.

Das Immunsystem arbeitet nicht mehr mit voller Leistung, sodass es bei den Betroffenen zu wiederkehrenden grippalen Infekten kommt. Bei einem starken Defizit wird vor allem das Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen. Zu den häufigsten Symptomen zählen:

  • Wadenkrämpfe, Muskelschwäche, Muskelschmerzen
  • Gewichtsverlust
  • Schlafstörungen
  • Konzentrationsschwäche
  • Reizbarkeit und Streitsucht
  • Teilnahmslosigkeit, Depressionen
  • eingeschränkte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit
  • schwankender Gang
  • unkontrollierbare Augenbewegungen
  • Desorientierung, Verwirrtheit
  • Gedächtnisverlust
  • Erkrankungen des Nervensystems (periphere Neuropathie)
  • schwerwiegende Störungen des Säure-Basen-Haushalts (metabolische Azidose)
  • Versagen des Herz-Kreislauf-Systems

Ohne ärztliche Behandlung können ausgeprägte Thiamin-Mangelzustände bei Erwachsenen und Kindern tödlich verlaufen. Eine Unterversorgung mit Vitamin B1 im Säuglingsalter führt häufig zu einer Beeinträchtigung der Motorik9. Unter diesem Begriff versteht die Medizin alle koordinierten Bewegungen des Körpers (greifen, in die Hände klatschen, laufen usw.), die von unserem Gehirn gesteuert werden.

Beriberi – die schwerste Form eines Vitamin-B1-Mangels

Weltweite Bekanntheit erlangte der Nährstoff Thiamin durch die Krankheit Beriberi, die im 19. Jahrhundert erstmals in asiatischen Gefängnissen auftrat. Die Häftlinge erhielten ausschließlich polierten Reis, der maschinell geschält worden war. Als Folge dieser einseitigen Ernährung kam es zu einem schweren Vitamin-B1-Mangel mit dramatischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Heutzutage wird die Krankheit vor allem in Entwicklungsländern beobachtet, in denen polierter Reis zu den Grundnahrungsmitteln gehört. In der medizinischen Literatur sind drei unterschiedliche Verlaufsformen der Erkrankung beschrieben: trockene Beriberi, feuchte Beriberi und infantile Beriberi10.

Während die trockene Verlaufsform durch Schädigungen des zentralen und peripheren Nervensystems11 gekennzeichnet ist, steht bei der feuchten Beriberi die Herzschwäche im Vordergrund. Die infantile Beriberi kann bei Säuglingen vorkommen, wenn die Mutter ein ausgeprägtes Thiamindefizit aufweist.

Die Tücke dieser Verlaufsform liegt darin, dass die Frauen in vielen Fällen keine Symptome der Mangelkrankheit zeigen. Viele Kinder leiden zu Anfang unter Bauchschmerzen, Durchfällen und Erbrechen. Mit der Zeit treten Nervenschäden und Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems auf.

Aufgrund seiner schützenden Wirkung trägt Thiamin auch heute noch die Bezeichnung Antiberiberi-Vitamin.

Wie lässt sich ein Defizit an Thiamin verhindern?

Vitamin B1 ist vor allem in der Schale und in den Keimen von Getreide enthalten. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Vollkornprodukte zu verzehren und auf weißen Reis weitgehend zu verzichten. Wer gerne geschälte Reissorten verwendet, sollte auf Parboiled-Reis zurückgreifen.

Aufgrund des besonderen Herstellungsverfahrens beinhaltet er wesentlich mehr Vitamine als weißer Reis12. Größere Mengen des lebenswichtigen Nährstoffs sind zudem in Leber, Hülsenfrüchten und Schweinefleisch enthalten. Die nachfolgend genannten Zahlenwerte in Milligramm beziehen sich auf 100 Gramm des entsprechenden Lebensmittels.

Thiaminreiche Nahrungsmittel13 14

Lebensmittel mit Thiamin
  • biologische Bierhefe (13 mg)
  • Bienenpollen (bis 2,2 mg)
  • Weizenkeime (2 mg)
  • Sonnenblumenkerne (1,90 mg)
  • Schinken (1,15 mg)
  • Schweinefilet (1,10 mg)
  • Sojabohnen (1 mg)
  • Schweineschnitzel (0,80 mg)
  • Erbsen (0,76 mg)
  • Haferflocken (0,65 mg)
  • weiße Bohnen (0,5 mg)
  • Vollkorngetreide (bis 0,46 mg)
  • Linsen (0,45 mg)
  • Wildreis (0,41 mg)
  • Rindfleisch (0,23 mg)
  • Flunder (0,22 mg)
  • Zucchini (0,2 mg)
  • Aal (0,18 mg)

Um den Tagesbedarf zu decken, genügt bei Erwachsenen und Teenagern eine Mahlzeit mit 100 Gramm Schweineschnitzel, 100 Gramm Wildreis und 50 Gramm Erbsen. Als leckere Alternative für Vegetarier eignet sich ein Früchtemüsli mit 100 Gramm Haferflocken, 25 Gramm Sonnenblumenkernen sowie einigen Weizenkeimen.

Hinweis

Thiamin reagiert empfindlich auf Hitze und Sauerstoff. Beim Kochvorgang geht etwa ein Drittel des Vitalstoffgehalts verloren. Deshalb sollten die Speisen möglichst schonend zubereitet werden.

Fazit

Vitamin B1 ist maßgeblich an der Energiegewinnung aus unserer Nahrung beteiligt. Als Coenzym sorgt es dafür, dass lebenswichtige Prozesse im Eiweiß-, Fett- und vor allem im Kohlenhydratstoffwechsel ablaufen können. Darüber hinaus spielt Thiamin eine wesentliche Rolle bei allen Zellfunktionen, Wachstumsprozessen, Muskelbewegungen und der Regeneration des Nervensystems.

Für eine gesunde körperliche Entwicklung im Mutterleib benötigt der Embryo ausreichende Mengen an Vitamin B1. Eine mangelhafte Versorgung mit dem wertvollen Vitalstoff wirkt sich negativ auf die motorische Entwicklung von Säuglingen aus.

Eine abwechslungsreiche Ernährung mit einer täglichen Portion Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte oder Schweinefleisch kann einen Thiaminmangel verhindern. Schwangere, stillende Mütter und Menschen, die einen erhöhten Bedarf haben, sollten zusätzlich Vitamin B1 über ein Nahrungsergänzungsmittel zuführen.

Quellenverzeichnis

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Über den Autor
Dr. Jochen G. Opitz

Dr. Jochen G. Opitz ist Biochemiker, Doktor der Naturwissenschaften und arbeitet seit 18 Jahren als Heilpraktiker in eigener Praxis. Durch seine Ausbildung und Erfahrung schreibt er für unsere Leser sowohl aus Sicht der Naturheilkunde als auch der westlichen Medizin. Mehr Informationen zu unseren Autoren finden Sie auf der Seite Über uns
Wenn Sie Fragen an Dr. Jochen G. Opitz haben, kontaktieren Sie ihn bitte unter dieser E-Mail Adresse

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